Von Toleranz, Respekt und Einsamkeit
Wer den Titel „Von Toleranz, Respekt und Einsamkeit“ liest, wird sicher kurz innehalten und zu dem Schluss kommen, dass Menschen aus unterschiedlichsten Gründen durch Intoleranz immer wieder ausgegrenzt werden, was schlimmstenfalls zu Einsamkeit führt. Doch davon soll dieser Beitrag nicht handeln – ganz im Gegenteil: Es geht um Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und viel Anerkennung erfahren.
Sehr viele Menschen reagieren euphorisch, wenn sie einen Prominenten oder Weltstar in ihrer Nähe sehen. In Sekundenschnelle bilden sich jubelnde und drängende Menschenmengen.
Die Reaktionen reichen von „harmlosen“, aber viel zu häufigen Bitten um ein Autogramm oder Selfie über aufdringliches Verhalten bis hin zu Szenen, die an das Ende des Romans „Das Parfum“ von Patrick Süskind (erschienen 1985) erinnern.
Exkurs: In dem Roman „Das Parfum“ kreiert der Serienmörder und „größte Parfumeur aller Zeiten“ Jean-Baptiste Grenouille ein Parfum, von welchem nur ein Tropfen genügt, um sich die Mengen hörig zu machen. Zum Ende übergießt er sich vollständig mit seinem Meisterparfum, was die Massen dazu bringt, ihn in vermeintlich engelhafter Schönheit zu sehen. Sie begehren ihn so sehr, dass sie ihn letztlich mit kannibalischer Gier und in kürzester Zeit zerreißen und vollständig verspeisen.
Warum verhalten sich Menschen so? Was treibt sie dazu, die Grenzen jeden Anstands zu überschreiten?
Menschen, die Prominente auf diese Art belästigen, tun dies oft aus einer Kombination von Bewunderung, Neugier und dem Bedürfnis, ihre soziale Identität zu stärken. Einerseits ist in den Sozialwissenschaften bekannt, dass Menschen ihre Identität stark durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen definieren. In der Begegnung mit einer berühmten Person können Menschen das Gefühl haben, durch diese Begegnung ihren sozialen Status zu erhöhen. Andererseits werden Menschen zusätzlich von der Dynamik der Gruppe um sie herum beeinflusst und zeigen häufig Verhaltensweisen, die sie alleine nie zeigen würden.
Mit dem Begriff „parasoziale Interaktionen“ werden in der Medienpsychologie die einseitigen Beziehungen beschrieben, die Menschen zu prominenten oder fiktionalen Charakteren entwickeln, die sie aus den Medien kennen. Diese einseitigen Beziehungen können eine Illusion von Nähe und Vertrautheit erzeugen, die es in der Realität selbstverständlich nicht gibt. Zudem werden die Prominenten in den meisten Fällen nicht als vollständiger Mensch mit all ihren Gefühlen, Gedanken und Träumen gesehen, sondern auf den fiktionalen Charakter ihrer öffentlichen Auftritte reduziert.
Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Konstruktion des Bildes von Prominenten als öffentliche Personen, wobei die wahre Persönlichkeit dieser Menschen häufig völlig ausgeblendet und teils vollkommen verzerrt dargestellt wird. Kaum jemand denkt darüber nach, dass die öffentliche Darstellung der Prominenten zumeist gezielt geplant wird, um ein entsprechendes berufliches Image aufzubauen. Sensationsgierige Berichterstattung, Paparazzi-Fotos und Reality-TV verstärken und verzerren das Bild der Prominenten als „immer zugängliche“ Individuen dann noch zusätzlich.
Was ist mit dem Menschen hinter der Promi-Illusion; und was hat das nun mit Toleranz zu tun?
Es fehlt das Bewusstsein für die Grenzen und Bedürfnisse anderer Menschen – hier tritt das Problem der mangelnden Toleranz auf. Toleranz – verstanden als die Bereitschaft, die Privatsphäre und das Recht auf ein ungestörtes Leben anderer Menschen zu respektieren. In der Konsequenz können viele Prominente sich außerhalb ihres Berufs nicht ohne ständigen Schutz oder teils überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegen und werden so mehr und mehr in ihrer privaten Zeit zum Rückzug aus der Öffentlichkeit gezwungen. Soziale Kontakte können nur schwer oder schlimmstenfalls überhaupt nicht mehr aufgebaut werden. Und so sind viele, umringt von zahllosen jubelnden Fans, doch letztlich einsam.
Einerseits tragen die Medien eine große Verantwortung, wenn es darum geht, das Verhalten der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Eine ethischere Berichterstattung, welche die Toleranz gegenüber den privaten Sphären von Prominenten fördert, könnte die Art und Weise verändern, wie Prominente in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Doch die stetig größer werdende Gier nach immer weiter steigenden Quoten und Gewinnen versagen den Blick auf das Wesentliche.
Andererseits sollte jeder bei sich selber beginnen und sich fragen, ob man es selber gut fände, nur aufgrund des eigenen Berufs so leben zu müssen. Vielleicht genügt bei der nächsten Begegnung mit einem Prominenten ja auch ein im Vorbeigehen unaufdringliches freundliches Lächeln, worüber sich übrigens die meisten Menschen freuen.
Fazit
Die Belästigung von Prominenten in der Öffentlichkeit ist ein komplexes Phänomen, das tief in der Psychologie der sozialen Identität, parasozialen Beziehungen und der Rolle der Medien verwurzelt ist. Um eine Veränderung herbeizuführen, sind sowohl ein gesellschaftlicher Wertewandel als auch eine Anpassung der Medienethik notwendig. Es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Menschen, den Respekt vor der Privatsphäre anderer zu fördern und sicherzustellen, dass auch Prominenten als Individuen mit eigenen Gedanken, Wünschen und Träumen ein Recht auf Privatsphäre und ein Leben außerhalb ihres Berufs zugestanden wird.
In Gedenken an alle, die trotz oder gerade wegen ihrer Berühmtheit einsam sind.