Philosoph Heiner Hastedt fordert starke Konzepte der Toleranz.

Toleranz hat wieder Konjunktur – auch als Thema für die Philosophie. Dr. Heiner Hastest, Professor für Philosophie an der Universität Rostock, plädiert für ein anspruchsvolles Konzept der Toleranz. Damit wären vor allem oberflächliche Streitformen der Medienkultur zu verbessern. Hastest veröffentlichte das Buch “Toleranz” im Reclam-Verlag.

Warum ist Toleranz wichtig?

Toleranz steht für den friedlichen Umgang mit Vielfalt. Die Alternative ist der Bürgerkrieg. So war der historische Einstieg in das Thema über den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten zu Beginn der Neuzeit. Globale Konflikte machen das Thema wieder aktuell. Insofern ist Toleranz eine Herausforderung und kein banales Konzept, wie es in mancher Sonntagsrede daherkommt.

Welche Zeiterscheinungen fordern Toleranz heraus?

Da haben wir ein großes Spektrum. Das reicht vom Umgang mit ökonomischen Modellen von der Ideologie des freien Marktes bis zu den radikalen Kapitalismuskritikern. Vielen fällt sicher der Umgang mit dem Islam als erstes Thema ein. Dahinter steht die Notwendigkeit, zwischen Islam und Islamismus zu differenzieren. Wir haben neue Konflikte in Europa, etwa den Konflikt um die Ukraine. Wir haben keinen Mangel an Themen, die Toleranz herausfordern.

Toleranz wird oft mit Gleichgültigkeit gleichgesetzt. Ist Toleranz wirklich so einfach zu haben?

Toleranz mit Gleichgültigkeit zu identifizieren treibt einen Philosophen eher in den Status des Aufgeregtseins. Denn es geht nicht um eine weichgespülte Version. Zur Toleranz gehört eine Komponente der Ablehnung. Wenn man etwas akzeptiert, dann muss man es nicht tolerieren. Und wer einer Sache gleichgültig gegenübersteht, hat ja gar keine Beziehung zu ihr. Insofern ist das kein Verhältnis der Toleranz. Zur Toleranz gehört, etwas abzulehnen und im Umgang friedlich zu bleiben. Es geht um die Balance, die zu erreichen ist, indem man etwas zwar ablehnt, es aber dennoch halbwegs gelten lässt.

Kann denn Toleranz auch Annäherung einleiten?

Ja. Man steigt ablehnend bis wütend ein. Es gibt eine indirekte Annäherung, wenn man akzeptiert, dass in der abgelehnten Position etwas Richtiges stecken könnte. Insofern haben Philosophen auch immer wieder gesagt, dass Intoleranz eine Abkapselung gegenüber der Wahrheit im Fremden bedeutet. Jeder sollte auch im eigenen Interesse daran interessiert sein, die Fähigkeit zur Toleranz zu erlangen.

Henryk M. Bruder oder Slavoj Zizek halten Toleranz für bequem. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Kritik ist immer gut. Die genannten Autoren sehen etwas Richtiges. Broder weist zu Recht darauf hin, dass sich eine Egal-Mentalität etabliert. Unrecht muss aber Unrecht bleiben. Es wäre ein Missverständnis von Toleranz, wenn man die Auseinandersetzung über Toleranz nicht mehr führen würde, In einer Gesellschaft von Warlords werden sie keine Toleranz etablieren können. Insofern muss man zugeben, dass Toleranz ein Wert ist, der auf alle Menschen zeigt, der aber faktisch nicht von allen Menschen in gleicher Weise geteilt wird. Auch wenn Toleranz ihre bedeutenden Stärken hat, so gibt es doch Voraussetzungen der Toleranz. Das sehen auch die Kritiker ganz richtig.

Über die Geltung von Menschenrechten kann man also im Zeichen der Toleranz nicht hinwegsehen?

Nein. Die Toleranz ist im Kontext eines Universalismus der Menschenrechte entstanden. Bei Fragen wie etwa der Todesstrafe oder der Klitorisverstümmelung geht es nicht mehr um Toleranz, sondern darum, für universelle Menschenrechte einzutreten. Das lässt sich aber vom Schreibtisch aus nicht für alle Konfliktsituationen festschreiben. Über diese Fragen kann man selbst in Streit geraten. Man kann sich darüber streiten, ob man bestimmte Praktiken auf interkultureller Ebene tolerabel findet. Das ist ein schwieriges Abgrenzungsproblem.

Warum beschäftigen sich Philosophen verstärkt mit Toleranz?

Globalisierung und Einwanderung haben das Thema Toleranz wieder aktuell gemacht. Es gab doch lange die Tendenz, nur noch historische Konzepte von Toleranz zu pflegen. Das Thema rückt in seiner Streitigkeit wieder nah. Mich beschäftigt besonders, wie man anspruchsvolle Konzepte der Toleranz in ein Verhältnis zu dem setzt, was als alltäglicher Relativismus daherkommt. Vermeintliche Toleranzmilieus gehen mit einem Achselzucken über vieles hinweg. Wenn aber vieles gleichgültig ist, dann stehen wir in der Gefahr, nicht mehr besonders aufmerksam für die Lebensform zu sein, die wir schätzen. Ein zweites Thema ist die Kopplung von Toleranz und Wahrheitsfragen. Philosophen plädieren für das Konzept der Nachsicht. Dabei geht es darum, abgelehnte Positionen in ihrer starken Form aufzugreifen. In Talkshows erleben wir das Gegenteil, weil viele Teilnehmer eher versuchen, in Bezug auf die abgelehnte Position billige Punkte zu machen. Es ist eine Herausforderung für Medienöffentlichkeiten, das, was man ablehnt, nicht einfach als bloß schlecht darzustellen.

Wir leben in einer Zeit der Kulturkonflikte, der Anschläge. Ist Toleranz da nicht einfach vollkommen überfordert?

Toleranz hat keine Wirkung mehr, wenn eine Bombe explodiert und die Waffe schon erhoben ist. Toleranz kann aber helfen, die Fundamentalisten vom Nachwuchs abzuschneiden und ihre Umfelder anzusprechen. Mehr tolerante Auseinandersetzung mit dem Islam würde auch helfen, den Fundamentalismus einzuschränken. Es geht darum, Auseinandersetzungen praktizierende Toleranzmilieus zu fördern, und so einen Beitrag zum friedlichen Ausgleich zu leisten. Der Glaube, es wären auf diese Weise alle möglichen Konflikte in Friedlichkeit zu überfahren, würde allerdings eine Überforderung dieses Konzeptes bedeuten. Toleranz ist wichtig, sie ist aber keine Lösung für jede Konfliktsituation.

Wie und wann üben Sie eigentlich Toleranz?

Ich rege mich über Menschen auf, die bei aussichtslosen Erkrankungen die aktive Euthanasie befürworten. Sterbebegleitung und Palliativmedizin scheinen mir der richtigere Weg zu sein. Ich lehne die aktive Sterbehilfe kategorisch ab, bin aber dagegen, sie zu kriminalisieren. Bioethische Grenzfragen sind ein bedeutendes Feld für wechselseitige Toleranz. Mich entgeistert auch modische Esoterik. Ich würde aber dennoch keine Geburtstagsparty verlassen, wenn ich einem Esoteriker begegne. Zu den Alltagsthemen der Toleranz gehören aber auch Ost-West-Beziehungen. Ich bin ja schon 1992 nach Rostock gekommen. Viele Lebensstile, die dem Zugezogenen damals fremd vorkamen, forderten die Anstrengung heraus, sich zu ihnen in Beziehung zu setzen.

Autor: Stefan Lüddemann