Gotthold Ephraim Lessings Werk “Ernst und Falk” ist ein zeitloses literarisches Meisterwerk und ein Handbuch der Toleranz das uns lehrt, wie Toleranz, Dialog und Verständnis die Grundlagen für eine harmonische Gesellschaft bilden. Veröffentlicht im 18. Jahrhundert, behält dieses Buch seine Relevanz bis heute, besonders vor dem Hintergrund unserer heutigen Welt, die von Vielfalt und Unterschiedlichkeit geprägt ist.
In “Ernst und Falk” führt Lessing einen fiktiven Dialog zwischen zwei Freunden, Ernst und Falk. Diese Dialogform ermöglicht es dem Autor, eine Vielzahl von Ideen über Toleranz, Religion, Wissen und die menschliche Natur zu präsentieren. Die Charaktere repräsentieren in diesem Handbuch der Toleranz unterschiedliche Standpunkte und Denkweisen.
“Ernst und Falk” ermutigt uns, die Vielfalt anzuerkennen und zu respektieren, anstatt sie als Bedrohung zu sehen. Der Dialog zwischen Ernst und Falk zeigt auf, dass Toleranz nicht bedeutet, die eigenen Überzeugungen aufzugeben, sondern vielmehr die Fähigkeit, mit anderen Meinungen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Dies ist essentiell, um Vorurteile abzubauen, Missverständnisse zu klären und gemeinsame Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Dieses Handbuch der Toleranz erinnert uns daran, dass die Überwindung von Vorurteilen und die Förderung des gegenseitigen Respekts eine grundlegende Voraussetzung für den Frieden sind.
Jeder einzelne Mensch kann dazu beitragen, diese Werte im eigenen täglichen Umfeld zu fördern. Hier sind einige praktische Schritte, die jeder von uns unternehmen kann, um die in “Ernst und Falk” beschriebene Toleranz zu verwirklichen:
Vorbild sein
Praktizieren Sie Toleranz und Respekt in Ihrem eigenen Verhalten. Seien Sie ein Vorbild für Ihre Freunde, Familie und Kollegen. Zeigen Sie, dass ein harmonisches Miteinander möglich ist, auch wenn Meinungsverschiedenheiten existieren.
Kleine Gesten der Freundlichkeit
Seien Sie aufmerksam und freundlich im Alltag. Ein Lächeln, ein höfliches Wort oder eine hilfreiche Geste können viel dazu beitragen, eine Atmosphäre des Respekts zu schaffen. Manchmal genügt ein ernstgemeintes freundliches Lächeln um einen anderen Menschen glücklich zu machen.
Offenheit für Vielfalt
Beginnen Sie mit einer offenen Haltung gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen, Religionen und Weltanschauungen. Stellen Sie sich bewusst vorurteilsfreien Gesprächen und Begegnungen und zeigen Sie Interesse an den Ansichten und Geschichten anderer.
Aktiver Dialog
Fördern Sie den Dialog und die Kommunikation. Gehen Sie auf Menschen zu, die andere Meinungen haben, und ermutigen Sie den Austausch von Gedanken und Ideen. Dabei geht es nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern Missverständnisse zu klären und Gemeinsamkeiten zu finden.
Respektvolles Zuhören
Hören Sie aktiv zu, wenn jemand seine Sichtweise darlegt. Unterbrechen Sie nicht sofort mit Ihrer eigenen Meinung, sondern nehmen Sie sich Zeit, um die Perspektive des anderen zu verstehen. Respektvolles Zuhören ist ein Schlüssel zur Förderung von Toleranz.
Empathie entwickeln
Bemühen Sie sich, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen. Versuchen Sie zu verstehen, welche Erfahrungen und Hintergründe ihre Überzeugungen geprägt haben. Empathie trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen und eine verständnisvolle Haltung zu entwickeln.
Gemeinsame Aktivitäten
Organisieren Sie oder nehmen Sie an Veranstaltungen teil, die den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen fördern. Dies könnten kulturelle Austauschprogramme, Workshops oder Diskussionsrunden sein. Gemeinsame Erlebnisse können Barrieren abbauen und Verbindungen schaffen.
Bildung und Aufklärung
Informieren Sie sich über verschiedene Kulturen, Religionen und Lebensweisen. Je mehr Sie über die Vielfalt der Welt wissen, desto besser können Sie Vorurteilen entgegenwirken und mit anderen Menschen auf Augenhöhe sprechen.
Unterstützung von Toleranzinitiativen
Engagieren Sie sich in lokalen oder globalen Initiativen, die Toleranz und Verständigung fördern. Dies können gemeinnützige Organisationen, Bildungsprogramme oder interkulturelle Projekte sein.
Reflexion und Selbstkritik
Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, um Ihre eigenen Vorurteile und eventuellen Intoleranzen zu überdenken. Selbstreflexion ist der erste Schritt zur persönlichen Weiterentwicklung und zur Förderung von Toleranz.
Fazit
Wenn wir jeden Tag auf die kleinen Dinge in unserer Umgebung etwas mehr achten, können wir zur Förderung von Toleranz, Verständigung und Frieden in unserer Gesellschaft beitragen. Jeder Einzelne hat die Macht, positive Veränderungen zu bewirken und eine Welt zu gestalten, in der uns Unterschiede nicht mehr trennen sondern verbinden.
Textauszug aus Gotthold Ephraim Lessing – Ernst und Falk
FALK Wir nehmen also die beste Staatsverfassung für erfunden an; wir nehmen an, daß alle Menschen in der Welt in dieser besten Staatsverfassung leben: würden deswegen alle Menschen in der Welt nur einen Staat ausmachen?
ERNST Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat würde keiner Verwaltung fähig sein. Er müßte sich also in mehrere kleine Staaten verteilen, die alle nach den nämlichen Gesetzen verwaltet würden.
FALK Das ist: die Menschen würden auch dann noch Deutsche und Franzosen, Holländer und Spanier, Russen und Schweden sein; oder wie sie sonst heißen würden.
ERNST Ganz gewiß!
FALK Nun, da haben wir ja schon eines. Denn nicht wahr, jeder dieser kleinern Staaten hätte sein eignes Interesse? und jedes Glied derselben hätte das Interesse seines Staats?
ERNST Wie anders?
FALK Diese verschiedene Interesse würden öfters in Kollision kommen, so wie itzt: und zwei Glieder aus zwei verschiedenen Staaten würden einander ebensowenig mit unbefangenem Gemüt begegnen können, als itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer begegnet.
ERNST Sehr wahrscheinlich!
FALK Das ist: wenn itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer, oder umgekehrt, begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensche einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiednen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegeneinander kalt, zurückhaltend, mißtrauisch macht, noch ehe sie für ihre einzelne Person das geringste miteinander zu schaffen und zu teilen haben.
ERNST Das ist leider wahr.
FALK Nun, so ist es denn auch wahr, daß das Mittel, welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese Vereinigung ihres Glückes zu versichern, die Menschen zugleich trennet.
ERNST Wenn du es so verstehest.
FALK Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Beürfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben. Meinst du nicht?
ERNST Das ist ein gewaltiger Schritt!
FALK Die Menschen würden auch dann noch Juden und Christen und Türken und dergleichen sein.
ERNST Ich getraue mir nicht, nein zu sagen.
FALK Würden sie das, so würden sie auch, sie möchten heißen, wie sie wollten, sich untereinander nicht anders verhalten, als sich unsere Christen und Juden und Türken von jeher untereinander verhalten haben. Nicht als bloße Menschen gegen bloße Menschen; sondern als solche Menschen gegen solche Menschen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen, und darauf Rechte gründen, die dem natürlichen Menschen nimmermehr einfallen könnten.
ERNST Das ist sehr traurig; aber leider doch sehr vermutlich.
FALK Nur vermutlich?
ERNST Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen hast, daß alle Staaten einerlei Verfassung hätten, daß sie auch wohl alle einerlei Religion haben könnten. Ja ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne Religion auch nur möglich ist.
FALK Ich ebensowenig. – Auch nahm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlässig ebenso unmöglöich als das andere. Ein Staat: mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen. Mehrere Staatsverfassungen: mehrere Religionen.
ERNST Ja, ja, so scheint es.
FALK So ist es. – Nun sieh da das zweite Unheil, welches die bürgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen.
ERNST Und wie schrecklich diese Klüfte sind! wie unübersteiglich oft diese Scheidemauern!
FALK Laß mich noch das dritte hinzufügen. – Nicht genug, daß die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Völker und Religionen teilet und trennet. – Diese Trennung in wenige große Teile, deren jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch immer noch besser als gar kein Ganzes. – Nein, die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche fort.
ERNST Wieso?
FALK Oder meinst du, daß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Ständen denken läßt? Er sei gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger nahe: unmöglich können alle Glieder desselben unter sich das nämliche Verhältnis haben. – Wenn sie auch alle an der Gesetzgebung Anteil haben: so können sie doch nicht gleichen Anteil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben. – Wenn anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich verteilet worden, so kann diese gleiche Verteilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Einer wird sein Eigentum besser zu nutzen wissen als der andere. Einer wird sein schlechter genutztes Eigentum gleichwohl unter mehrere Nachkommen zu verteilen haben als der andere. Es wird also reichere und ärmere Glieder geben.
ERNST Das versteht sich.
FALK Nun überlege, wieviel Übel es in der Welt wohl gibt, das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat.
ERNST Wenn ich dir doch widersprechen könnte! – Aber was hatte ich für Ursache, dir überhaupt zu widersprechen? – Nun ja, die Menschen sind nur durch Trennung zu vereinigen! nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalten! Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein.
FALK Das sage ich eben!
ERNST Also, was willst du damit? Mir das bürgerliche Leben dadurch verleiden? Mich wünschen machen, daß den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie möge gekommen sein?
FALK Verkennst du mich so weit? – Wenn die bürgerliche Gesellschaft auch nur das Gute hätte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann, ich würde sie auch bei weit größern Übeln noch segnen.
ERNST Wer des Feuers genießen will, sagt das Sprichwort, muß sich den Rauch gefallen lassen.
FALK Allerdings! – Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist: durfte man darum keinen Rauchfang erfinden? Und der den Rauchfang erfand, war der darum ein Feind des Feuers? – Sieh, dahin wollte ich.
ERNST Wohin? – Ich verstehe dich nicht.
FALK Das Gleichnis war doch sehr passend. – – Wenn die Menschen nicht anders in Staaten vereinigt werden konnten als durch jene Trennungen: werden sie darum gut, jene Trennungen?
ERNST Das wohl nicht.
FALK Werden sie darum heilig, jene Trennungen?
ERNST Wie heilig?
FALK Daß es verboten sein sollte, Hand an sie zu legen?
ERNST In Absicht? …
FALK In Absicht, sie nicht größer einreißen zu lassen, als die Nowendigkeit erfordert. In Absicht, ihre Folgen so unschädlich zu machen als möglich.
ERNST Wie könnte das verboten sein?
FALK Aber geboten kann es doch auch nicht sein; durch bürgerliche Gesetze nicht geboten! – Denn bürgerliche Gesetze erstrecken sich nie über die Grenzen ihres Staats. Und dieses würde nun gerade außer den Grenzen aller und jeder Staaten liegen. – Folglich kann es nur ein “Opus supererogatum” sein: und es wäre bloß zu wünschen, daß sich die Weisesten und Besten eines jeden Staats diesem “Operi supererogato” freiwillig unterzögen.
ERNST Bloß zu wünschen; aber recht sehr zu wünschen.
FALK Ich dächte! Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären und genau wüßten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhöret.
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die dem Vorurteile ihrer angeborenen Religion nicht unterlägen; nicht glaubten, daß alles notwenig gut und wahr sein müsse, was sie für gut und wahr erkennen.
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate geben Männer möchte, welche bürgerliche Hoheit nicht blendet und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herabläßt und der Geringe sich dreist erhebet.
ERNST Recht sehr zu wünschen!
FALK Und wenn er erfüllt wäre, dieser Wunsch?
ERNST Erfüllt? – Es wird freilich hier und da, dann und wann, einen solchen Mann geben.
FALK Nicht bloß hier und da; nicht bloß dann und wann.
ERNST Zu gewissen Zeiten, in gewissen Ländern auch mehrere.
FALK Wie, wenn es dergleichen Männer itzt überall gäbe? zu allen Zeiten nun ferner geben müßte?
ERNST Wollte Gott!
FALK Und diese Männer nicht in einer unwirksamen Zerstreuung lebten? nicht immer in einer unsichtbaren Kirche?
ERNST Schöner Traum!
Komplettes Buch online lesen unter: https://docplayer.org/30999045-Ernst-und-falk-gespraeche-fuer-freimaurer.html
Hinweis: Der Text aus dem 18. Jahrhundert enthält teils Formulierungen die heutzutage ggf. als ungenau oder sogar missverständlich angesehen werden könnten. Wir haben den Textauszug im Original übernommen und gehen davon aus, dass die Menschen, die dieses lesen, die entsprechende Toleranz hierfür mitbringen.