Filmtipp „Alter weisser Mann“ – Tabus in der Sprache
Filme gibt es viele – einen wie diesen aber nur selten. Daher mein Filmtipp „Alter weisser Mann“
In der Hauptrolle: Jan Josef Liefers
Drehbuch und Regie: Simon Verhoeven
Am 22. Oktober 2024 feierte der Film „Alter weisser Mann“ seine Premiere und ist mittlerweile bei den meisten gängigen Streaming-Anbietern verfügbar.
Kurzbeschreibung
Heinz, gespielt von Jan Josef Liefers, ist ein weisser Mann mittleren Alters mit Frau, Kindern, Eigenheim und einem Job als mehr oder weniger erfolgreicher Geschäftsmann im mittleren Management im Marketing.
Ein vermeintlich politisch inkorrekter Social-Media Werbebeitrag seiner Firma löst plötzlich eine Welle von negativen Kommentaren aus, wodurch in der Firma schlagartig die „Political Correctness“ das oberste Gebot wird. Heinz, zunächst völlig überfordert und alleingelassen, versucht verzweifelt sich mit unbeholfenen Maßnahmen irgendwie der für ihn neuen Situation anzupassen.
Der Film zeigt, wie sich nach und nach die innere Weiterentwicklung mit all ihren Hürden vollzieht, bis die Erkenntnis in ihm erwacht und er sich von den eingefahrenen und erlernten gesellschaftlichen Zwängen sowie der auferlegten politischen Korrektheit befreit und damit eine neue Freiheit gewinnt.
Kritik
Wer diesen Film nur oberflächlich ansieht, findet sich in einem überspitzten Klamauk, der so ziemlich alle Klischees bedient und bei dem der eine oder andere Lacher sicher ist.
Doch obwohl oder gerade weil der Film so gut wie kein Klischee auslässt und Heinz von einem Fettnäpfchen in das nächste stolpern lässt, zeigt er tiefgründig die Herausforderungen vieler Menschen im Umgang mit sich stetig weiterentwickelnden gesellschaftlichen Normen und Werten.
Und wer genau hinsieht und hinhört, bemerkt, dass insbesondere durch die hervorragende schauspielerische Leistung von Jan Josef Liefers sowie die symbolisch starken Bild- und Szenengestaltungen, kombiniert mit spitzfindig humoristischen Konversationen, ein Film mit viel Tiefgang und Potenzial zum Nachdenken entstanden ist.
Weiter_gedacht
Tabus im Sprachgebrauch
Sprache ist nicht nur ein mächtiges Werkzeug zur Kommunikation, sondern prägt auch das Denken und Handeln der Menschen, wodurch sie ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Normen und Werte ist. Im Laufe der Zeit verändern sich diese Normen und Werte, was dazu führt, dass bestimmte Begriffe oder Wörter im Sprachgebrauch als unangemessen oder sogar politisch inkorrekt gelten.
Einige Gründe für diese Veränderungen sind unter anderem
- Historische Belastung und Diskriminierung: Viele Begriffe, die einst als selbstverständlich galten, tragen heute eine historische Belastung mit sich. Wörter, die in der Vergangenheit verwendet wurden, um bestimmte Gruppen zu bezeichnen, hatten oft eine abwertende oder diskriminierende Bedeutung. Heute werden diese Begriffe zunehmend als politisch inkorrekt betrachtet, weil sie Erinnerungen an Rassismus und Ungleichbehandlung wecken.
- Veränderung der sozialen Werte: Gesellschaften entwickeln sich weiter und haben heute ein größeres Bewusstsein für Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Formen der Diskriminierung. Was früher als „normal“ oder „akzeptabel“ galt, wird heute zum Glück zunehmend kritisch gesehen und bedarf einer Änderung.
- Gleichberechtigung und Inklusion: Die Bewegung hin zu mehr Inklusion und Gleichberechtigung hat dazu geführt, dass Begriffe, die bestimmte Gruppen marginalisieren, nicht mehr toleriert werden. Im Bereich des Genderns haben sich beispielsweise alternative Begriffe wie „Mensch“ oder „Person“ etabliert, um alle Geschlechtsidentitäten zu inkludieren und Gleichbehandlung zu fördern.
- Empathie und Sensibilität: Mit wachsendem Bewusstsein für die Auswirkungen von Sprache auf die Psyche hat sich die Notwendigkeit entwickelt, verletzende oder stigmatisierende Begriffe zu vermeiden. Das Bestreben, die Gefühle anderer zu respektieren und sich für mehr Empathie im Umgang miteinander einzusetzen, führt dazu, dass Worte, die als verletzend empfunden werden, zunehmend aus dem Sprachgebrauch verschwinden.
Auslöser für Veränderung
Auslöser für die Veränderung von Begriffen ist ein komplexer Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Hierzu gehören unter anderem:
- Gesellschaftlicher Druck und Aktivismus: Oft geht die Veränderung von Sprache mit dem Engagement von sozialen Bewegungen einher. Diese Gruppen setzen sich für die Rechte von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen ein und fordern eine respektvollere und inklusivere Sprache. Kampagnen wie „Black Lives Matter“ oder die LGBTQiAP+ Bewegung haben wesentlich dazu beigetragen, dass Begriffe, die zuvor unreflektiert verwendet wurden, kritisch hinterfragt werden.
- Medien und Öffentlichkeit: Die Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von neuen Begriffen. Wenn ein Begriff als politisch inkorrekt erkannt wird, wird dies oft in öffentlichen Diskussionen, sozialen Medien und durch bekannte Persönlichkeiten thematisiert. Ein einzelnes kontroverses Ereignis oder eine Äußerung in den sozialen Medien kann eine breite Debatte darüber auslösen, welche Begriffe akzeptabel sind und welche nicht. Die meisten Medienanstalten führen heutzutage Listen mit Wörtern und Formulierungen, die als unangemessen gelten und nicht verwendet werden dürfen.
- Wissenschaftliche Forschung, Sprachwissenschaft und Bildung: Auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Bildungsinitiativen kommt es zur Neubewertung bestimmter Wörter. Psychologen, Soziologen und Sprachwissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, wie Sprache gesellschaftliche Strukturen beeinflusst und wie bestimmte Begriffe Diskriminierung oder Vorurteile fördern können.
Folgen von Unsicherheit und Unausgesprochenem
Die entstehende Unsicherheit der Menschen umfasst nicht nur, wie man sich richtig ausdrückt oder was als politisch korrekt gilt, sondern auch die Folgen, die durch das Fehlen klarer Kommunikation entstehen. Welche Themen dürfen überhaupt angesprochen werden und auf welche Art und Weise dürfen sie thematisiert werden, ohne jemanden zu verletzen oder sich selbst in eine schwierige Position zu bringen?
Tabus im Sprachgebrauch bringen viele dazu, sich sehr vorsichtig auszudrücken oder lieber zu schweigen.
Wenn bestimmte Begriffe oder Wörter als politisch inkorrekt gelten, entstehen jedoch oft Alternativen, die respektvoller und inklusiver sind. Diese Alternativen sollen helfen, Diskriminierung und Stereotype zu vermeiden und die Kommunikation für alle Menschen zugänglich und respektvoll zu gestalten.
Doch neue Wortkreationen müssen zunächst Eingang in unsere Sprache finden, von allen verstanden und möglichst ähnlich interpretiert werden, damit wir weiterhin präzise kommunizieren können. Wenn Begriffe jedoch nicht in ihrer vollen Bedeutung und Tiefe verstanden werden, laufen wir Gefahr, Missverständnisse zu erzeugen. Es ist daher keine Überraschung, dass Missverständnisse zunehmend verbreitet sind und dass Themen teils nicht mehr offen und ehrlich angesprochen werden. Dies passiert nicht nur in privaten Gesprächen, sondern auch in der Politik, den Medien und der Arbeitswelt.
Verpasste Chancen
Eine der gravierendsten Folgen ist das Fehlen von offenen Diskussionen zu wichtigen Themen. Themen wie Rassismus, Diskriminierung, soziale Ungleichheit, Geschlechterrollen und viele mehr sind oft Gegenstand von Tabus, bei denen sich viele Menschen schwertun, sie in der Öffentlichkeit anzusprechen.
Es entstehen zwangsläufig Informationsdefizite, die es zusätzlich erschweren, Lösungen zu finden. Wenn Menschen nicht mehr über Themen sprechen oder sich in ihrer Ausdrucksweise verunsichert fühlen, bleiben wichtige gesellschaftliche Fragestellungen unbeantwortet. Statt offener Gespräche entstehen Vorurteile, Missverständnisse und Intoleranz, die sich durch Unwissenheit und mangelnde Aufklärung weiter verstärken.
Doch genau diese Themen sind es, die einer offenen und kritischen Diskussion bedürfen, um unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln, bestehende Missstände zu beseitigen und mehr Verständnis füreinander zu schaffen.
Toleranz, Vertrauen und Liebe vermitteln,
was die Sprache nicht auszudrücken vermag
Fazit
Es ist entscheidend, dass wir uns bewusst machen, wie wichtig eine offene Kommunikation für unsere Gesellschaft ist. Das bewusste Auslassen von Themen oder das Vermeiden bestimmter Begriffe führt zu einer zunehmenden Verunsicherung und zu einer Gesellschaft, die weniger in der Lage ist, Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden. Anstatt Tabus zu schaffen, sollten wir uns bemühen, eine respektvolle und konstruktive Sprache zu finden, die auch schwierige Themen nicht aus dem Diskurs verdrängt.
Nur so können wir Missverständnisse abbauen und eine echte gesellschaftliche Weiterentwicklung ermöglichen – eine Gesellschaft, die sich nicht vor der Diskussion wichtiger Themen scheut und keine Angst vor Veränderung und Fortschritt hat.
Und auch wenn der eine oder andere einmal versehentlich in ein sprachliches Fettnäpfchen tritt, sollten wir nicht gleich verurteilen, sondern in angemessener Form darauf hinweisen und uns in Toleranz üben.
Autor: Christian Fritsch