Geschlechtsidentität – Probleme die keine sein sollten
Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) ist nun seit einiger Zeit gültig und ermöglicht die Änderung des Geschlechtseintrags in Kombination mit der Änderung des Vornamens. Und plötzlich entstehen zur Geschlechtsidentität – Probleme die keine sein sollten. In diesem Artikel teile ich meine persönlichen Erfahrungen der letzten Zeit, bei denen ich teilweise nicht wußte ob ich darüber lachen oder weinen soll – als Mensch mit positiver Einstellung neige ich jedoch zu guter Laune mit kleinen Spitzen, wie sich in diesem Beitrag zeigt.
Welche Geschlechtseinträge sind möglich
- männlich
- weiblich
- divers
- ohne Eintrag
Was ist das (vermeintliche) Problem?
Es gibt zahlreiche Unternehmen und Situationen die geschlechtsspezifisch – auf männlich oder weiblich – ausgelegt sind. Hier mal einige Beispiele:
- Damensauna
- Vereine bei denen nur ein bestimmtest Geschlecht zugelassen ist (Frauen-Sportstudio, Herrenclubs, etc.)
- Umkleidekabinen in Sportstudios, Schwimmbädern, etc.
- Toiletten in Unternehmen für Mitarbeiter und Gäste
- und viele mehr…
Und immer wieder stoße ich in Gesprächen und Texten auf die Frage, wie nun künftig mit der „neuen Situation“ durch das SBGG umgegangen werden soll. Es klingt beinahe so, als ob nun der Großteil der Bevölkerung zum Amt rennt und seinen Geschlechtseintrag ändern lässt. Doch dass es mit dem reinen Antrag nicht getan ist, dass vergessen viele.
Geschlechtseintrag ändern – was gehört dazu?
- Anmeldung des Änderungswunsch beim Standesamt
- Nach 3 Monaten persönliche Erklärung beim Standesamt abgeben
- Beantragung geänderte Geburtsurkunde
- Beantragung neuer Personalausweis
- Beantragung neuer Reisepass (wenn benötigt)
- Beantragung neuer Führerschein
- Beantragung neuer Zeugnisse (z.B. Schule, Uni, Weiterbildungen, etc.)
- Änderungsmitteilung an Banken, Versicherungen, Arbeitgeber, Vereine, sonstige Vertragspartner
- Bei beruflicher Selbständigkeit Änderung in allen relevanten Registern, etc.
Die Frage aller Fragen
Die immer wieder gestellte Frage aller Fragen ist:
Nach welcher Regel sollen wir vorgehen?
Zugegeben, die Frage ist grundsätzlich nicht verkehrt, denn wer diese Frage stellt hat sich zumindest kurz Gedanken zu dem Thema gemacht und erkannt, dass ggf. etwas verändert werden muss.
Die Frage nach einer „Regel“ ist auch nicht unverständlich – schließlich schaffen Regeln Sicherheit und dienen einem positiven sozialen Miteinander. Wenn etwas klar geregelt ist, braucht man sich keine Gedanken mehr machen, sondern beruft sich einfach auf die Einhaltung der Regel. Manchmal zu einfach!? Ja, und ggf. auch gefährlich, wenn dadurch das eigene Denken endet.
Wissen über Diversität? – Fehlanzeige
In den meisten Gesprächen habe ich festgestellt, dass viele Unternehmen Diversität und Toleranz in ihren Unternehmenswerten hoch in Kurs setzen – häufig jedoch das Wissen zu den Themen fehlt und es mehr zu Marketing- und Imagezwecken missbraucht wird – wer hätte das gedacht. Und dann kommen plötzlich die Geschlechtsidentität – Probleme die keine sein sollten.
Meine „Lieblingsfrage“ der letzten Tage stammt von einem Verein der nur Mitglieder eines Geschlechts zulässt:
Zitat:“Das Inkrafttreten des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und die Möglichkeit, dass Mitglieder eine Transition zum anderen Geschlecht vollziehen, werfen Fragen auf. Sollen wir künftig rechtliche oder biologische Kriterien zugrunde legen?“
Doch genau diese Frage ist es, die sich letztlich viele auf die eine oder andere Art stellen – nur vielleicht nicht so explizit formuliert. Daher möchte ich im Folgenden einige Dinge aufklären und ein paar Gedankenanstöße hierzu geben.
Kleine Spitze
Regel eines Binär-Pragmatikers: „Wenn sie vorher Mitglied waren und jetzt ohne, dann sind sie jetzt wohl weiblich.“
Allgemeines zum Verständnis
Schon in § 1 Abs. 2 des Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) ist eindeutig formuliert:„Medizinische Maßnahmen werden in diesem Gesetz nicht geregelt“. Insofern hat das Gesetz keine plötzliche Veränderung zur vorherigen Situation geschaffen.
In § 2 SBGG ist ebenfalls klargestellt, dass es um die „Geschlechtsidentität“ geht. Diese hat mit den äußeren körperlichen Merkmalen oder mit einer möglichen körperlichen Transition überhaupt nichts zu tun. Daher hier noch einmal auf den Punkt
Definition Geschlechtsidentität
„Der Begriff der Geschlechtsidentität beschreibt das subjektive Empfinden eines Menschen, dem männlichen, weiblichen oder einem dritten Geschlecht anzugehören oder zwischen den Geschlechtern zu stehen. Die Geschlechtsidentität kann vom biologischen Geschlecht und von der gesellschaftlich zugewiesenen Geschlechterrolle abweichen.“
Quelle: https://www.bmz.de/de/service/lexikon/geschlechtsidentitaet-57492
Kriterien sind Schubladen
Schon in der Frage zeigt sich die Unkenntnis dieses Themas durch die Einschränkung der Frage auf rechtliche oder biologische Kriterien.
Wenn die Frage also nur „rechtliche oder körperliche Merkmale“ ist, dann steht die erste Enttäuschung direkt bevor:
Rechtliche Kriterien in der Praxis
§ 6 Abs. 1 SGBB besagt: „Der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag und die jeweils aktuellen Vornamen sind im Rechtsverkehr maßgeblich“.
Sofern rechtliche Kriterien zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, können künftig zum Beispiel Menschen mit weiblichen äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmalen ihren amtlichen Eintrag auf „männlich“ ändern und entsprechenden Vereinen oder Veranstaltungen beitreten – und natürlich andersherum.
Wie bereits oben erläutert, bezieht sich das SGBB ausschließlich auf die Geschlechtsidentität – also dem persönlichen Empfinden des einzelnen Menschen in Bezug auf sein Geschlecht.
Das EuGH hat mit Urteil vom 09.01.2025 Az. C-394/23 beispielsweise entschieden, dass Personen im Rahmen von Vertragsabschlüssen nicht verpflichtet werden dürfen, ihre Anrede, und damit die Geschlechtsidentität, anzugeben, wenn dieses für den Vertrag nicht objektiv erforderlich ist. Insofern zeigt sich auch, dass nicht alle Betroffenen diese sehr persönliche Information unter allen Umständen preisgeben wollen.
Wer einmal einen genauen Blick riskiert wird feststellen, dass der Geschlechtseintrag lediglich amtlich geführt wird, jedoch z.B. auf dem Personalausweis nicht enthalten ist.
Wie sollte in der Praxis nun das rechtlich (also amtlich geführte) Geschlechtsmerkmal überprüft werden, wenn es nicht auf dem Ausweis steht?
Und selbst wenn der Geschlechtseintrag enthalten wäre, dann wäre er trotzdem nicht binär – denn unter „Divers“ und „ohne Angabe“ werden unterschiedlichste Geschlechtsidentitäten (aus rein praktischen Gründen) zusammengefasst.
In diesem Zusammenhang müsste somit zwingend auch eine Regel für die Einträge „Divers“ und „ohne Eintrag“ erlassen werden.
Weiterhin wäre der Fall zu klären, wenn eine körperliche Transition erfolgt, jedoch keine Änderung gemäß SGBB beim Amt vorgenommen wird und der Eintrag bei „männlich“ bzw. „weiblich“ bleibt.
Hätte, wäre, könnte – da hilft kein Konjunktiv.
Das immer wieder übersehene Geschlechtsmerkmal
Was in den Fragestellungen immer wieder herauskommt ist die gedanklich so fest verankerte Frage nach männlich oder weiblich. Das gemäß SBGG auch die Einträge „Divers“ sowie „ohne Angabe“ möglich sind wird bei den meisten Fragestellungen völlig übersehen.
Unter dem Begriff „Divers“ werden zahlreiche Unterkategorien zusammengefasst, z.B. die Geschlechtsidentität „Genderfluid“, die auch nicht zwingend zu einer Änderung des äußeren Erscheinungsbildes führt.
Exkurs: Jeder Mensch hat sowohl eine „männliche“ als auch eine „weibliche“ „Seite“, die je nach Prägung und gesellschaftlichem Umfeld mehr oder weniger ausgeprägt sind und nicht absolut objektiv trennscharf zueinander sind. Als genderfluid bezeichnen sich Menschen, die sich nicht statisch einem Geschlecht zuordnen, sondern anhand ihrer aktuellen Gefühlslage mal mehr ihre männliche und mal ihre weibliche Seite erleben – wohlgemerkt gefühlsmäßig erleben.
Würde ein Mann zum Beispiel seinen Geschlechtseintrag von „männlich“ auf „Divers“ ändern und den Vornamen beispielsweise in „René“ (ein Vorname, der für beide Geschlechter durchaus üblich ist), wie erkannt man dann den Geschlechtseintrag?
Und was, wenn er sich für einen Vornamen entscheidet der vielleicht nicht in Deutschland, aber in anderen Ländern durchaus für Männer üblich ist, wie z.B. Andrea – man denke an den Sänger Andrea Bocelli…
In diesem Zusammenhang sei nochmals klargestellt:
Die Geschlechtsidentität hat zunächst NICHTS mit den äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmalen zu tun hat – egal ob sie amtlich eingetragen ist oder nicht.
Kleine Spitze
Sollte künftig in der Kommunikation auf Formulierungen wie „… diverse Helfer (unterstützten bei der Vorbereitung der Veranstaltung)…“ verzichtet werden, da es sonst zu Missverständnissen oder Diskriminierung führen könnte?
Biologische Kriterien in der Praxis
Bei der Fragestellung drängt sich mir direkt der Verdacht auf, dass mit „biologischen Kriterien“ hier ganz plump auf das äußere Erscheinungsbild, schlimmstenfalls sogar nur auf das, was sich zwischen den Beinen befindet abgezielt wird. Sollte bei Unklarheit also künftig im wahrsten Sinne des Wortes „die Hose heruntergelassen“ werden?
Und was ist dann mit Menschen, denen aus medizinischen Gründen die äußeren Geschlechtsmerkmale ganz oder teilweise operativ verändert oder entfernt werden müssen? Werden diese dann automatisch „Divers“?
Kleine Spitze
Da die Entfernung der Geschlechtsteile jederzeit möglich ist, wäre eine regelmäßige Kontrolle in Vereinen nötig, die nur ein bestimmtes Geschlecht zulassen. Vielleicht könnte der klassische Händedruck ja durch einen „Griff zwischen die Beine“ ersetzt werden?
Wenn nicht nur dieser plumpe Gedanke Hintergrund der Frage ist, sind dann die Chromosomen gemeint?
Falls ja, dann sollten bei der Klärung der Frage auch alle Varianten einbezogen werden. Was ist beispielsweise mit Menschen, bei denen die Gene von der „Norm“ abweichen?
Exkurs: Männer besitzen üblicherweise ein XY-Chromosomenpaar, Frauen ein XX Chromosomenpaar.
Ein Beispiel ist das Klinefelder-Syndrom, bei dem die Betroffenen ein doppeltes X-Chromosom (also XXY) besitzen und deren äußeres Erscheinungsbild sowie die äußeren körperlichen Merkmale männlich sind.
Unabhängig davon ob hier nur auf die äußerlich sichtbaren Merkmale oder die Chromosomen abgezielt wird, bedarf es in beiden Fällen dann auch einer Regel für Hermaphrodismus (Menschen die beide äußeren Geschlechtsmerkmale haben). Dieses sagt zunächst nichts über das äußere Erscheinungsbild oder die Geschlechtsidentität aus.
Fazit biologische Kriterien
Und schon steht die zweite Enttäuschung vor der Tür: Biologische Kriterien sind wohl keine Option, sofern Vereine und Unternehmen mit geschlechtsspezifischer Zielgruppe nicht künftig einen Gentest oder einen regelmäßigen Blick „zwischen die Beine“ in Betracht ziehen.
Also einfach andere Kriterien
Ok, offenbar ist „rechtlich oder biologisch“ nicht der Weisheit letzter Schluss. Dann nehmen wir doch einfach andere Kriterien, oder?
Äußeres Erscheinungsbild und Kleidung
Nehmen wir doch einfach das äußere Erscheinungsbild, die Kleidung und das Verhalten. Sollten diese Kriterien einbezogen werden, bedürfte es einer sehr detaillierten Regelung beispielsweise bezüglich des sogenannten „Crossdressing“ (Tragen von Frauenkleidung ohne Änderung der Geschlechtsmerkmale).
Dieses führt jedoch bei genauerem Hinsehen ebenfalls zu tiefgreifenden Fragestellungen, wie z.B. der Grenze zwischen Crossdressing und Mode. Wo ist die Grenze zwischen einem „karierten Kilt (Rock)“ und einem karierten Damenrock? Oder nehmen wir die Länge der Haare, eine besonders gepflegte Haut, lange Fingernägel, die Unterwäsche, die Höhe der Absätze von Schuhen, etc. als Kriterium? Und was passiert wenn sich die Mode ändert?
Auf den zweiten Blick offenbar also doch keine gute Idee.
Geschlechtsidentität und Verhalten
Das Thema „Verhalten“ braucht an dieser Stelle wohl kaum weiter ausgeführt werden, denn wo ist die Grenze zwischen männlichem und weiblichem Verhalten? Eine innere Gefühlslage und das Verhalten können daher als Kriterien nur ausscheiden.
Gesamteindruck vs Subjektivität
Auch eine Diskussion um den „Gesamteindruck einer Person“ ist wenig zielführend und vermutlich sogar gefährlich. Was für den einen subjektiv noch unter „männlich“ fällt, mag von einem anderen schon als „weiblich“ interpretiert werden. Dieses führt beinahe zwangsläufig zu Diskriminierung und Konflikten.
Gesetz und Diversität
Ein kurzer Blick über den Tellerrand genügt um festzustellen, dass offenbar auch der Gesetzgeber zum Thema Gesetz und Diversität noch Verständnisprobleme oder Nachholbedarf hat – je nachdem wie man es sehen möchte.
Hier einige Beispiele die bei der praktischen Umsetzung zum typischen Kopfschmerz führen:
Grundgesetz Artikel 2
Im Grundgesetz, Artikel 2 Absatz 2 heißt es:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Frage: Diverse also nicht?
Strafgesetzbuch § 183
In § 183 Absatz 1 Strafgesetzbuch ist angegeben:
„Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Frage: Wenn ein Mann den Geschlechtseintrag auf divers oder weiblich ändern, oder diesen entfernen lässt, trifft der Paragraph also nicht mehr zu?
Schließlich heißt es in 6 Abs. 1 SGBB: „Der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag und die jeweils aktuellen Vornamen sind im Rechtsverkehr maßgeblich“.
Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR)
In Abschnitt 4.1 Absatz 6 findet sich folgende Vorgabe für Arbeitgeber:
„Für weibliche und männliche Beschäftigte sind getrennte Sanitärräume
einzurichten.“
Frage: Brauchen wir also künftig drei oder mehr Sanitärräume?
Grundwerte
Ein weiterer Punkt der im Rahmen dieser Fragestellung in jede Diskussion und Entscheidung einbezogen werden sollte, sind die eigenen Grundwerte. Egal welche Entscheidung bezüglich der Fragestellung getroffen wird, diese muss früher oder später bekanntgegeben werden und sich der öffentlichen Diskussion stellen.
Fazit
Die klassisch binären Denkmuster sind bei vielen Menschen so tief verankert, dass kein Raum für neue kreative Gedanken und Wege ist – aber genau diese werden dringend benötigt.
Die Welt ist nicht schwarz-weiß (binär) es gibt unendlich viele Farben.
Lasst uns die Welt in ihrer vollen Schönheit betrachten ohne auf eine Farbe zu verzichten.